Programm
Es ist recht interessant, wie viel schneller in der modernen Welt etwas Fremdes in der Kunst erlaubt wird als vor 150 Jahren, als ob das Publikum den Prozess schneller erwartet und assimiliert. Während die meisten Menschen den Klang einer Kleinen Trommel mit Marschmusik assoziieren, wird er zu etwas Fremdem, wenn Matthias Spahlinger über zwanzig Minuten für sechs von ihnen außerhalb dieser Assoziation schreibt. Ohne Melodie braucht das Ohr Zeit, um die feinen Klangunterschiede zwischen den Trommeln zu begreifen, wie beim Erlernen einer neuen Sprache.
Wie John Cage bemerkte, wenn man etwas eine Minute lang hört und es langweilig findet, hört man es zwei Minuten lang, wenn es immer noch langweilig ist, hört man es vier Minuten lang, wenn es immer noch langweilig ist, hört man es acht Minuten lang, und nach einer Weile ist es nicht mehr langweilig. Das ist in der Tat der Prozess des Vertrautwerdens der Fremdartigkeit. Michael Nyman schreibt einfache Muster für Metallinstrumente, einen seltsamen Motor, dessen Wiederholungen den Hörer in einen meditativen Zustand versetzen. Schöllhorn erforscht die Energie von Wellen durch klingende Spielzeuginstrumente, ohne erkennbaren Rhythmus und Melodie, oder beides so langsam, dass die Zeit verlangsamt werden müsste, damit der Mensch es besser versteht. Wie könnte man eine Ohrenrevolution Programm besser einleiten als mit einem Trommelmarsch für den Frieden statt für den Krieg von Christian Wolff?
Christian Wolff (*1934)
Exercixe 27
(2nd Snare Drum Peace March, 1988)
„Exercise 27“ ist einer der beiden „Snare Drum Peace Marches“, die für Stuart Smiths „The Noble Snare“-Sammlung von Soli geschrieben wurden. Die Musik notiert eine Art isorhythmischen Kontrapunkt, meist in zwei, manchmal in drei Teilen; ihre Umsetzung – Spielweisen, Dynamik, Tempi – ist offen, allerdings mit dem Vorschlag, dass die Finger allgemein und unterschiedlich (verschiedene Teile, Nägel, Knöchel usw.) verwendet werden und dass die längeren Tondauern beispielsweise durch Gleiten, Kratzen sowie Trillern usw. artikuliert werden. Entmilitarisierung der Snare Drum durch eine neue Art des Marschierens.
Michael Nyman (*1944)
Bell Set No. 1 (1971)
„Bell Set No. 1“ ist ein Werk in vier Strukturen, das aleatorische Elemente enthält. Jede rhythmische Einheit kann von jedem Spieler beliebig oft wiederholt werden, bevor er oder sie zur nächsten übergeht. Die Spieler sollten sich über die Gesamtdauer und den Verlauf des Stücks (in der Partitur nicht festgelegt) so einigen, dass die Anzahl der Wiederholungen, die jeder Spieler macht, nicht dazu führt, dass einige Spieler sich in den letzten Modulen befinden, während andere noch in den Anfangsmodulen sind. Jeder Note innerhalb der rhythmischen Einheit muss eine eigene Tonhöhe/ein eigenes Instrument zugewiesen werden.
„Bell Set“ wird ohne Bezugnahme auf die Parts der anderen Spieler gespielt, wobei jedoch die Sensibilität für den Klang und die Bewegung des Stücks als Ganzes erhalten bleibt. Es sollte ein Gefühl der gleichzeitigen Unabhängigkeit und gegenseitigen Abhängigkeit entstehen, sodass die Ergebnisse der Unabhängigkeit der einzelnen Parts eher akzeptiert werden, als dass sie von den anderen Parts angepasst werden.
Matthias Spahlinger (*1944)
Off
für sechs Kleine Trommeln 033.02 (2011)
„Off“ für sechs Kleine Trommeln hat ein Form-Konzept nach Art eines Stadtplans. Es wird, wenn es vollständig komponiert sein wird, etwa knapp zwei stunden Aufführungsmaterial umfassen, das aber nie als ganzes gespielt werden soll. Eine erste Version von 1993 befasste sich vor allem auch mit dem Phänomen des Raumrhythmus. In dem Material von 2011 kommt hinzu drei musikalische Denkmodelle: 1.) in der Summe gleichbleibende rhythmische Muster, die durch Uminstrumentierung verändert werden oder sich zu verändern scheinen. 2.) der Einfluss von Artikulation (mit dem Jazzbesen gewischt oder geschlagen) auf den metrischen Sinn, den wir beim hören unterstellen. 3.) traditionelle, schulmäßige Schlagfiguren (Paradiddlen) und die, trotz perfekter Gleichmäßigkeit darin wirksame "Energetik" und Körperartikulation.
Johannes Schöllhorn (*1962)
Red and Blue (1999)
„Woher diese schreckliche Übermacht des Himmelsraums? Welcher Faustschlag ist niedergefahren auf das Nachtblech und hat es derart zum Vibrieren gebracht, derart erstrahlen lassen (...)?" (aus: Francis Ponge - La Mounine) Wie zeitliche Vorstellungen in Bildern zwar verwandelt werden, aber immer noch schattenhaft von ihrer Zeitlichkeit erzählen, so durchlaufen die bildlichen Vorstellungen, durch die die Klangwelt von "red and blue" bestimmt wird, zwar Veränderungen, bleiben aber eigentümlich ihrer Bildhaftigkeit verhaftet. Unterstützt durch kräftige Instrumentalfarben, bei denen jeder Schlag auf die Instrumente noch von der Starre des Metalls, das in der Vibration zum Klingen gebracht wird, erzählt, soll so die Form auf paradoxe Weise im Ohr des Hörers als Bild und Farbe entstehen.
„Im einfachen Blau des Himmels wiegt die Seele ihre Flügel auf und nieder - und aus dem letzten Stern stürzt sie sich mit ausgebreiteten Schwingen in die Unermesslichkeit." ( Jean Paul – „Über die natürliche Magie der Einbildungskraft“)