© Rüdiger Schestag

Samstag | 26. April

16 Uhr · Sprengel Museum Hannover
Kurt-Schwitters-Platz 1 · 30169 Hannover

Geträumte Revolution in Klang

Ensemble S:
Adam Weisman
Dörte Siefert
Norbert Krämer
Rie Watanabe
Michael Pattmann
Stefan Kohmann

Programm
Biografien
Ticket-Link
Eine Veranstaltung von Ensemble S in Kooperation mit Musik 21 Niedersachsen und Sprengel Museum Hannover
Gefördert von:

Programm

Programm

Es ist recht interessant, wie viel schneller in der modernen Welt etwas Fremdes in der Kunst erlaubt wird als vor 150 Jahren, als ob das Publikum den Prozess schneller erwartet und assimiliert. Während die meisten Menschen den Klang einer Kleinen Trommel mit Marschmusik assoziieren, wird er zu etwas Fremdem, wenn Matthias Spahlinger über zwanzig Minuten für sechs von ihnen außerhalb dieser Assoziation schreibt. Ohne Melodie braucht das Ohr Zeit, um die feinen Klangunterschiede zwischen den Trommeln zu begreifen, wie beim Erlernen einer neuen Sprache.

Wie John Cage bemerkte, wenn man etwas eine Minute lang hört und es langweilig findet, hört man es zwei Minuten lang, wenn es immer noch langweilig ist, hört man es vier Minuten lang, wenn es immer noch langweilig ist, hört man es acht Minuten lang, und nach einer Weile ist es nicht mehr langweilig. Das ist in der Tat der Prozess des Vertrautwerdens der Fremdartigkeit. Michael Nyman schreibt einfache Muster für Metallinstrumente, einen seltsamen Motor, dessen Wiederholungen den Hörer in einen meditativen Zustand versetzen. Schöllhorn erforscht die Energie von Wellen durch klingende Spielzeuginstrumente, ohne erkennbaren Rhythmus und Melodie, oder beides so langsam, dass die Zeit verlangsamt werden müsste, damit der Mensch es besser versteht. Wie könnte man eine Ohrenrevolution Programm besser einleiten als mit einem Trommelmarsch für den Frieden statt für den Krieg von Christian Wolff?

Christian Wolff (*1934)
Exercixe 27
(2nd Snare Drum Peace March, 1988)

„Exercise 27“ ist einer der beiden „Snare Drum Peace Marches“, die für Stuart Smiths „The Noble Snare“-Sammlung von Soli geschrieben wurden. Die Musik notiert eine Art isorhythmischen Kontrapunkt, meist in zwei, manchmal in drei Teilen; ihre Umsetzung – Spielweisen, Dynamik, Tempi – ist offen, allerdings mit dem Vorschlag, dass die Finger allgemein und unterschiedlich (verschiedene Teile, Nägel, Knöchel usw.) verwendet werden und dass die längeren Tondauern beispielsweise durch Gleiten, Kratzen sowie Trillern usw. artikuliert werden. Entmilitarisierung der Snare Drum durch eine neue Art des Marschierens.


Michael Nyman (*1944)

Bell Set No. 1 (1971)

„Bell Set No. 1“ ist ein Werk in vier Strukturen, das aleatorische Elemente enthält. Jede rhythmische Einheit kann von jedem Spieler beliebig oft wiederholt werden, bevor er oder sie zur nächsten übergeht. Die Spieler sollten sich über die Gesamtdauer und den Verlauf des Stücks (in der Partitur nicht festgelegt) so einigen, dass die Anzahl der Wiederholungen, die jeder Spieler macht, nicht dazu führt, dass einige Spieler sich in den letzten Modulen befinden, während andere noch in den Anfangsmodulen sind. Jeder Note innerhalb der rhythmischen Einheit muss eine eigene Tonhöhe/ein eigenes Instrument zugewiesen werden.
„Bell Set“ wird ohne Bezugnahme auf die Parts der anderen Spieler gespielt, wobei jedoch die Sensibilität für den Klang und die Bewegung des Stücks als Ganzes erhalten bleibt. Es sollte ein Gefühl der gleichzeitigen Unabhängigkeit und gegenseitigen Abhängigkeit entstehen, sodass die Ergebnisse der Unabhängigkeit der einzelnen Parts eher akzeptiert werden, als dass sie von den anderen Parts angepasst werden.

Matthias Spahlinger (*1944)
Off
für sechs Kleine Trommeln 033.02 (2011)

„Off“ für sechs Kleine Trommeln hat ein Form-Konzept nach Art eines Stadtplans. Es wird, wenn es vollständig komponiert sein wird, etwa knapp zwei stunden Aufführungsmaterial umfassen, das aber nie als ganzes gespielt werden soll. Eine erste Version von 1993 befasste sich vor allem auch mit dem Phänomen des Raumrhythmus. In dem Material von 2011 kommt hinzu drei musikalische Denkmodelle: 1.) in der Summe gleichbleibende rhythmische Muster, die durch Uminstrumentierung verändert werden oder sich zu verändern scheinen. 2.) der Einfluss von Artikulation (mit dem Jazzbesen gewischt oder geschlagen) auf den metrischen Sinn, den wir beim hören unterstellen. 3.) traditionelle, schulmäßige Schlagfiguren (Paradiddlen) und die, trotz perfekter Gleichmäßigkeit darin wirksame "Energetik" und Körperartikulation.

Johannes Schöllhorn (*1962)  
Red and Blue (1999)

„Woher diese schreckliche Übermacht des Himmelsraums? Welcher Faustschlag ist niedergefahren auf das Nachtblech und hat es derart zum Vibrieren gebracht, derart erstrahlen lassen (...)?" (aus: Francis Ponge - La Mounine) Wie zeitliche Vorstellungen in Bildern zwar verwandelt werden, aber immer noch schattenhaft von ihrer Zeitlichkeit erzählen, so durchlaufen die bildlichen Vorstellungen, durch die die Klangwelt von "red and blue" bestimmt wird, zwar Veränderungen, bleiben aber eigentümlich ihrer Bildhaftigkeit verhaftet. Unterstützt durch kräftige Instrumentalfarben, bei denen jeder Schlag auf die Instrumente noch von der Starre des Metalls, das in der Vibration zum Klingen gebracht wird, erzählt, soll so die Form auf paradoxe Weise im Ohr des Hörers als Bild und Farbe entstehen.
„Im einfachen Blau des Himmels wiegt die Seele ihre Flügel auf und nieder - und aus dem letzten Stern stürzt sie sich mit ausgebreiteten Schwingen in die Unermesslichkeit." ( Jean Paul – „Über die natürliche Magie der Einbildungskraft“)

Biografien

Ensemble S

gegründet in 1998, ist seitdem Gast der europäischen Konzertsäle und Festivals. Die Tonträgerproduktionen vom Ensemble S erhielten nahezu internationale Auszeichnungen: Seine Dual Disc Gérard Grisey: „Le Noir de l’Etoile“ wurde von der holländischen Tageszeitung Trouw in die Top Ten 2006 gewählt und vom Preis der Deutschen Schallplattenkritik auf die Bestenliste I/2007 gesetzt.  Mit Stephan Meier als Künstlerische Berater, hat das Ensemble neue Mitglieder gewonnen um dessen Ziele, die hohe Kunst des Schlagzeug Ensembles, unprätentiös und in alle seine Facetten zu präsentieren.

Christian Wolff

wurde 1934 in Nizza, Frankreich, geboren, lebt aber seit 1941 überwiegend in den USA. Er studierte Klavier bei Grete Sultan und kurzzeitig auch Komposition bei John Cage. Obwohl er als Komponist größtenteils Autodidakt ist, war die Zusammenarbeit mit John Cage, Morton Feldman, David Tudor, Earle Brown, Frederic Rzewski und Cornelius Cardew wichtig für ihn. Ein besonderes Merkmal seiner Musik ist es, den Interpreten verschiedene Freiheitsgrade und Interaktionen während der Aufführung zu ermöglichen. Eine Reihe von Stücken wurde ab 1953 von Merce Cunningham und der Cunningham Dance Company verwendet.

Michael Nyman

wurde am 23. März 1944 in Stratford, East London.  Von 1961 bis 1964 studierte er an der Royal Academy of Music bei Dr. Peter Fletcher, Alan Bush und Geraint Jones. Zwischen 1964 und 1967 war Nyman Doktorand am King's College in London bei Thurston Dart. Er studierte englische Barockmusik und die Prinzipien des wissenschaftlichen Editierens und erstellte die erste moderne Ausgabe von Purcells Catches (Stainer und Bell, 1967) und eine neue Ausgabe von Händels Concerti Grossi, Op.6 (Eulenberg, 1973).
Sein Ruf wurde durch eine Reihe äußerst erfolgreicher Filmmusiken unter der Regie von Peter Greenaway begründet, darunter Der Kontrakt des Zeichners und The Cook, the Thief, His Wife & Her Lover. Weitere Filmmusiken sind u. a. Andrew Niccols „Gattaca“ (1997) und  Jane Campions Film „Das Piano“ aus dem Jahr 1993. Seine Musik wurde in dem mit dem BAFTA-Award ausgezeichneten und für den Oscar nominierten Film Man on Wire verwendet, während seine Filmmusik für Erasing David (2009) beim London East End Film Festival als bester Original-Soundtrack ausgezeichnet wurde.

Mathias Spahlinger

wurde 1944 in Frankfurt am Main geboren. sein Vater war Violoncellist.  Ab 1951 unterrichtete ihn sein Vater in Fidel, Gambe, Blockflöte und später Violoncello. 1959 begann er sich intensiv mit dem Jazz zu beschäftigen, nahm Saxophonunterricht und wollte Jazzmusiker werden. 1962 verließ er die Schule und machte bis 1965 eine Schriftsetzerlehre. Nach beendeter lehre setzte er sein Studium bei Konrad Lechner an der Städtischen Akademie für Tonkunst in Darmstadt fort. Von 1973–1977 studierte er Komposition bei Erhard Karkoschka an der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart. 1978 wurde er Gastdozent für Musiktheorie an der Hochschule der Künste in Berlin, 1984 Professor für Komposition und Musiktheorie an der Staatlichen Hochschule für Musik Karlsruhe. Ab 1990 war er Professor für Komposition und Leiter des Instituts für Neue Musik an der Staatlichen Hochschule für Musik Freiburg. Er lebt seit 2009 in Potsdam.

Johannes Schöllhorn

geboren 1962 in Murnau, studierte in Freiburg bei Klaus Huber, Emanuel Nunes und Mathias Spahlinger Komposition, Musiktheorie bei Peter Förtig und besuchte Dirigierkurse bei Peter Eötvös.
Johannes Schöllhorns Arbeit umfasst viele Genres von Kammer- und Vokalmusik über Werke für Orchester bis hin zum Musiktheater. Er beschäftigt sich ebenfalls auf vielfältige Weise mit Transkompositionen von der Musik der Renaissance bis heute. Im Jahre 1997 war er Gewinner des Comitée de Lecture des Ensemble Intercontemporain und erhielt 2009 den Praetorius Musikpreis des Landes Niedersachsen.
Johannes Schöllhorn unterrichtete an der Musikhochschule Zürich/Winterthur und war Professor für Komposition an den Musikhochschulen in Hannover und Köln. Seit Oktober 2017 ist er Professor für Komposition an der Musikhochschule Freiburg und Leiter des Instituts für Neue Musik.

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