Programm
Hildegard von Bingen (1098–1179)
O Virtus Sapientiae
Johannes Euler (*1989)
O Virtus Sapientiae
für Countertenor und Kammerensemble, nach dem Text von Hildegard von Bingen
Anton Webern (1883–1945)
Langsamer Satz
für Streichquartett (1905)
Langsam, mit bewegtem Ausdruck
Anton Webern
Sechs Bagatellen
für Streichquartett, op. 9
1 Mäßig
2 Leicht bewegt
3 Ziemlich fließend
4 Sehr langsam
5 Äußerst langsam
6 Fließend
Impulsgespräch:
Revolution: Bibel – Astronomie – Musik
Pastor Danilo Paap, Michaeliskirche
Hans-Christian Euler, Dirigent
Shadi Kassaee (*1999)
Zahåk # 2
nach dem Epos Shåhnåmeh des persischen Dichters
Ferdousi (940–1020)
1 Zahåk der Weltmachtsuchende
2 Teufels Küche
3 Mit dem Gehirn junger Menschen
4 Lullaby
5 Revolution
6 Damåwand
7 Aufruf zum Guten
Kammerorchester Hannover – Solist:innen
Violine 1 - Sebastian Nowak
Violine 2 - Timofej Lagutin
Viola - Johannes Brause
Violoncello - Guillermo Guantes
Kontrabass - Andrea Koch
Flöte - Ingvild Ness
Klarinette 1 - Charlotte aus dem Siepen
Klarinette 2 - Wei-Ti Lin
Horn - Markus Weber
Schlagzeug - Leonard Weber
Countertenor: Johannes Euler
Leitung: Hans-Christian Euler
Ursprung des Projekts ist die Zusammenarbeit mit der iranisch-stämmigen Komponistin Shadi Kassaee, die 1999 in Hamburg geboren wurde, in Hannover studierte und nun in Berlin lebt.
Sie schreibt über ihr Stück Zahåk:
„Das Stück mit dem Thema Zahåk basiert auf dem persischen Epos Shåhnåmeh (dt. Das Königsbuch, eine Gedichtsammlung aus dem 10. Jahrhundert von dem Dichter Ferdousi).
Zahåk ist ein König in der persischen Mythologie, der sich vom Teufel verführen lässt und seinen Vater tötet um mit eiserner Faust zu herrschen. Der König Zahåk lässt sich eines Tages von dem Teufel, als Koch verkleidet, auf die Schultern küssen, worauf an dieser Stelle zwei Schlangen entspringen und auf seinen Schultern festwachsen. Von da an muss er den Schlangen zur Besänftigung jeden Tag zwei junge menschliche Hirne verfüttern. Viele Jahre der Tyrannei verstreichen, bis Zahåk seinen Schlangen eines Tages den Sohn des Schmieds Kaveh opfern will. Kaveh aber widersetzt sich und ruft zur Revolution auf. Seine Schürze wie eine Fahne an eine Lanze gebunden, führt er einen erfolgreichen Volksaufstand gegen Zahåk an. Der Inhalt des Stücks dreht sich dementsprechend um die in diesen Tagen leider bedrückend aktuellen Verformung eines Herrschers durch Macht und Alleinherrschaft.“
Der Begriff Revolution hat auch eine Bedeutung für die Astronomie und ist aus religiösen Bezügen ebenfalls nicht wegzudenken. Gerade weil der Konzerttermin innerhalb des Evangelischen Kirchentags 2025 liegt, soll durch den Gesang Hildegards von Bingen „O Virtus Sapientiae“ und die auf diesem Text basierende Neukomposition von Johannes Euler ein Hinweis auf sich wandelnde Zeiten gegeben werden. Wandel kann, muss aber nicht durch Revolution entstehen.
Auch der Weg von später Romantik zur Atonalität und 12-Ton-Technik ist oder scheint zumindest revolutionär, wenn man an die vorgesehenen Werke Anton Weberns denkt. Oder ist es eben nur die sprichwörtliche minimale Kraft, die dabei hilft, die tonale Schwerkraft endgültig zu überwinden? Themen, die in einem kurzen „Impulsgespräch“ anklingen sollen, das in das Konzert eingebettet wird. Beteiligt sind Pastor Danilo Paap von der St. Michaeliskirche in Ricklingen sowie der Dirigent des Konzerts Hans-Christian Euler.
Johannes Euler: O Virtus Sapientiae
O virtus Sapientie, O Kraft der Weisheit,
que circuiens circuisti, wirbelnd umkreist
comprehendendo omnia und umspannst Du alles
in una via que habet vitam, auf dem einzigen Weg des Lebens.
tres alas habens, Drei Flügel hast Du,
quarum una in altum volat einer davon schwebt in die Höhe,
et altera de terra sudat der andere entspringt der Erde,
et tercia undique volat. und allumfassend schwebt der Dritte.
Laus tibi sit, sicut te decet, O Sapientia. Lob sei Dir, wie es Dir gebührt, O Weisheit.
(Übersetzung: Johannes Euler)
Hildegard von Bingen (1098-1179) schrieb ihre Antiphon „O Virtus Sapientiae“ als Loblied auf die Weisheit der Dreifaltigkeit. Die „drei Flügel“ Gott Vater, Sohn und Heiliger Geist werden als im Himmel, auf der Erde und allumfassend dargestellt und auf eindringliche und emotionale Weise besungen. Hildegards Text und Melodik inspirierte mich zu meiner gleichnamigen Neukomposition, in welcher ich verschiedene Welten und Klangvorstellungen verbinden und eine Brücke schlagen möchte, die fast tausend Jahre umspannt. Die liebevollen, dankbaren Emotionen ihrer Worte finden in allen Epochen der Musikgeschichte ihresgleichen und lassen sich durch eine vielfältige Tonsprache deuten, die nicht auf die Tonalität einer einzelnen Stilistik beschränkt ist. Ob barocke oder romantische, archaische oder moderne Klänge, Anspielungen oder Zitate anderer Werke, der emotionale Gestus der Worte Hildegards zieht sich durch die Komposition, wie der „dritte Flügel der Weisheit“, der Heilige Geist, welcher alles umfasst, der an jedem Ort und in jeder Zeit gleichermaßen zu finden ist.